2. Mai 2012 | Le Pissoir,News | Kommentare deaktiviert für Grandioser scheitern

Grandioser scheitern


Mit fliegenden Hertha-Fahnen in den Untergang, Berlin taumelt sehenden Auges dem Abstieg aus der Bundesliga entgegen. Der Respekt vor Hertha BSC Berlin thront zusammen mit dem Manager-Gehabe eines Michael Preetz im Tabellenkeller der Bundesliga, als wäre Günter Wallraffs „Ganz unten“ nur ein Hilfsausdruck von einem negativen Superlativ. Selbst ein Trainer wie Markus Babbel lässt vor dem letzten Bundesligaspieltag mit dem Duell Hertha vs. Hoffenheim verlauten, dass er mit seinen Hoffenheimern alles daransetzen wird, Hertha zu schlagen und damit in die 2. Liga zu schicken, den Hertha-Abstieg im Berliner Olympiastadion höchstpersönlich zu besiegeln. Und nicht nur Hertha-Fans spekulieren darüber, womit sich die Berliner diese explizite Reaktion von Babbel denn nun wirklich verdient haben. Kann man grandioser scheitern als mit der Verpflichtung von König Otto Rehhagel? Dem 73-jährigen Erfinder des Fußballs und der kontrollierten Offensive, die der Europameister-Trainer in Griechenland sogar zur gesicherten Defensive mit 2 Vierer-Abwehrketten und 2 Liberos zurückentwickelte bis in die Fußball-Steinzeit, wo Weisheiten wie „Die Wahrheit liegt auf dem Platz“ noch Höhlenmalereien mit Strichmännchen waren…

Im fußballerischen Kreidezeitalter der Taktiktafel war der 1. FC Köln einst der erste Deutsche Meister der Bundesliga, woraus der kölsche Klüngel um den ersten Fußballclub Köln seinen Anspruch ableitet, als stolze Diva vom Rhein fortan mit immer utopischeren Saisonzielen und -träumereien immer grandioser zu scheitern, auch wenn Christoph Daum, die Alltime-Ikone der Kölner Erfolgshyperbel zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, bislang nur die Konkurrenz von Eintracht Frankfurt eigenhändig und -metaphorisch in den Abstieg führen durfte. Wer grandioser scheitern will, muss schließlich erst mal die Bundesliga-Konkurrenz bei der Misswahl um die Skandal-Diva der Liga ausschalten. Und auch in puncto Abstiegskampf macht der 1. FC Köln noch ein virileres und dramatischeres Bild als die Berliner Hertha, hat man sich doch eine rheinische Derby-Relegation in den von Führungslosigkeit und Querelen verwirrten Kopf gesetzt. Nur um Fortuna Düsseldorf in zwei Relegationsspielen die Aufstiegsträume zu zerstören, den Effzeh-Fans zum Ausklang der Kölner Katastrophen-Saison noch ein ganz besonderes Highlight zu bescheren, als kleines Dankeschön für die fanatische wie fantastische Treue. Während manche Bedenkenträger nur zu gern auf die Nervenbelastung solcher vermeintlicher Höhepunkte kölschen Fußballlebens verzichtet hätten, freuen sich viele auf eine Relegation 1. FC Köln vs. Fortuna Düsseldorf mit jener Leidenschaft, wie sie nur in Köln zu finden ist. Und vielleicht noch in Düsseldorf…

In Hamburg ist dagegen alles graue Theorie und Durchschnitt – wenn es um grandioses Scheitern geht, kann Hamburg nicht mitreden. Der Hamburger SV als Bundesliga-Dino rettet sich auf letzter Rille direkt ins Ziel, ins Minimalziel Klassenerhalt, der FC St. Pauli und der HSV wollen einfach keine Derby-Relegation hinkriegen, und selbst das Scheitern an dieser aufregenden Wunschkonstellation gerät beiden zum Mittelmaß. Unspektakulärer als der FC St. Pauli kann man nicht am Bundesliga-Aufstieg scheitern, die Paulianer ließen sich sogar noch von Paderborn die Bundesliga-Butter vom Graubrot nehmen, wenn die nicht schon Fortuna Düsseldorf punkrockigerweise in die Kiez-Frisi geschmiert hätte und die braun-weißen Aufstiegsträume am Nasenring durch die Manege führte. Selbst 1860 München hätte den spektakuläreren Endspurt zu bieten… Und das von Thorsten Fink und Frank Arnesen viel strapazierte Potenzial des Hamburger SV liegt im Spruch „Gutes Pferd springt knapp“, den man an der Elbe zwar mit der dritten Reihe des Chelsea FC bundesligauntauglich in „Schlechtes Pferd“ umwandelte, aber nicht mehr genug Zeit hatte für eben jenen Anspruch „Schlechtestes Pferd verweigert total“, mit dem es sich einfach grandioser scheitern ließe. Selbst das direkte Endspiel um den Klassenerhalt in Augsburg vermied der HSV vorzeitig, nahm diesem Nerven-Kracher jegliche Brisanz und „ersparte“ den HSV-Fans wieder mal jede Endspielstimmung. Und nach einem radikalen Borderline-Umbruch ohne viel Geld folgt nun der radikale Umbruch ohne Geld. Dabei auf den eigenen Nachwuchs aus Hamburg zu setzen, wäre aber wohl eine Nummer zu grandios…

BUCK LEBOWSKI
FANartisch-Experte für grandioses Scheitern
(Selbst-Interview vor dem Spiegel folgt, d.h. Interview mit sich selbst nach PR-Vorbild Michael Preetz)