Ein Sport – zwei Welten
Irgendwie passt er nicht hierhin, der schmucke schwarze Bus mit dem furchterregenden großen Totenkopf-Logo auf der Seite, der in die Einfahrt neben Clubhaus und Fußballplatz einbiegt. Es ist nicht das Westfalenstadion, an dem der Mannschaftsbus des FC St. Pauli an diesem Samstagvormittag eintrifft. Dies ist die Dortmunder Nordstadt – nicht gerade die feinste Ecke der ohnehin nicht feinen Ruhrgebietsstadt. Dass eine Delegation des Hamburger Zweitligisten hierher kommt, hat einen guten Grund: Das St.-Pauli-Sozialprojekt Kiezhelden unterstützt buntkicktgut, eine Initiative, die bundesweit fünf interkulturelle Straßenfußballprojekte fördert und das Ziel hat, jungen Menschen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu ermöglichen.
Der Besuch von St. Paulis Vereinspräsident Oke Göttlich, Profi Markus Thorandt und Marketingleiter Martin Drust hat nicht nur symbolischen Charakter. Die Hamburger haben einen Scheck über 5000 Euro im Gepäck – Geld, das buntkicktgut bestens für Ausrüstungsgegenstände gebrauchen kann. Unter anderem soll davon ein mobiler Street Soccer Court repariert werden, mit dem die Idee des organisierten Straßenfußballs auch in weitere Stadtteile getragen werden kann. Kaum haben sich die Türen des Mannschaftsbusses geöffnet, da fangen sich die Paulianer schon den ersten Spruch. „Ah, bringt ihr mir endlich meinen Wagen zurück“, meint lässig einer der wartenden Jugendlichen. Zumindest nach außen hin geben sich die Straßenkicker dem Proficlub gegenüber nicht gerade ehrfürchtig. „Immerhin, die sind Bundesliga“, sagt einer. „Nee, 2. Liga. Und dann auch noch Letzter“, meint ein anderer.
Dass hier zwei Fußballwelten aufeinandertreffen, ist Markus Thorandt nur zu bewusst: „Als der Anruf mit der Anfrage kam, ob ich Lust hätte, an einem Samstag morgens um halb sieben nach Dortmund zu fahren, hätte ich am liebsten gleich wieder aufgelegt. Aber jetzt bin ich sehr froh, hier zu sein.“ So ein Besuch führe ihm deutlich vor Augen, wie privilegiert sein Leben als Fußballprofi sei, sagt er, nachdem er sich ein erstes Bild vom Turnier der Nordstadtliga gemacht hat. Auf dem Platz staubt die rote Asche, schallen Rufe in vielen Sprachen über den Platz, und es ist unübersehbar, dass die Ausrüstung der Spieler alles andere als perfekt oder auch nur komplett ist. Doch das fußballerische Niveau ist phasenweise beachtlich, genauso wie Einsatz und Engagement. Als der Dortmunder buntkicktgut-Projektleiter Erwin Fischer schließlich ankündigt, Markus Thorandt werde den Straßenkickern bestimmt gleich noch ein paar Tricks zeigen, beeilt der sich richtigzustellen: „Nee nee, ich bin Abwehrspieler. Die hier auf dem Platz können garantiert mehr Tricks als ich.“
Thorandt trifft den richtigen Ton und sucht den Kontakt zu den Jungs aus der Nordstadt. Als er Kevin, Justin und den anderen vom Leo Club Hövelpforte einen signierten Ball überreicht und sie in einer kleinen Ansprache darin bestärkt, hart an sich zu arbeiten, hängen sie aufmerksam an seinen Lippen. Er selbst sei das beste Beispiel dafür, dass es gelingen könne, seine fußballerischen Träume zu erfüllen, sagt er. Er sei bestimmt nicht das größte Talent gewesen, habe es aber immerhin in die Zweite Liga geschafft. So andächtig die Leo-Kicker zuhören, als es um den Traum von einer Profikarriere geht, so lebhaft werden sie, als St. Paulis Nr. 16 ganz konkrete Unterstützung in Aussicht stellt. Kaum hat er angekündigt, er werde seine Mannschaftskollegen bitten, ausrangierte Schuhe und Trikots rauszurücken, um sie nach Dortmund zu schicken, prasseln die Fragen auf ihn ein: „Welche Größe? Welche Farbe? Welches Modell?“ Als der Hamburger Besuch nach zahllosen Autogrammen auf Papier, Fußballschuhe, Caps und alles, was sonst noch zur Hand ist, wieder in den Bus steigt, ist klar: Es bleiben unterschiedliche Welten, in denen sich die Beteiligten bewegen. Aber für einen Vormittag hat der Fußball sie zusammengeführt. Beide Seiten werden sich daran erinnern.
GUIDO DIESING
(Text & Fotos)