TAGEBUCH EINES FUSSBALLHASSERS #1 – Bekenntnisse eines Ignoranten von geringem Sachverstand
„Sinnloser als Fußball ist nur noch eins: Nachdenken über Fußball.“ Auch wenn er sonst viel Schlaues sagt, der Martin Walser, besonders wenn er vor großem Publikum in noch größeren Kirchen spricht – hier irrt der Dichter: Es lohnt sich durchaus, über Fußball nachzudenken. Wer es einmal gründlich getan hat, muss es nie wieder tun. Denn dann weiß er ein für allemal, warum es sich tatsächlich nicht lohnt.
Fußball, einstmals der Sport der Unterdrückten, der Gestrauchelten und Tagediebe dieser Welt, ist salonfähig geworden, und das heißt bei uns: fernseh-, also wohnzimmertauglich. „Deutschland spielt, heut’ bleibt der DVD-Player aus!“, lautet die allfällige Losung der audiovisuell hochgerüsteten Mittelklassefamilien, die mit surroundverdrahteten Beschallungsanlagen in den guten Stuben ihrer Reihenendhäuser dem Unterschichtenfernsehen entkommen wollen (und damit unbewusst der Unterschichtencinematographie Vorschub leisten). Wenn Fußball im TV kommt, sind alle traulich vereint wie damals in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts (oder war es das vorletzte?), als die so genannten Straßenfeger für flächendeckende Verbreitung des schlechten Geschmacks sorgten: Vater, Mutter, Omma, Oppa, Fred und Hilde von nebenan, Onkel Willi und sogar die beiden schwer verpickelten Nachkömmlinge undefinierbaren Geschlechts, die sonst nur mit Brachialgewalt hinter ihren fast ausschließlich zu Bildungszwecken genutzten Computern wegbugsiert bzw. von ihren drahtlosen Fernsprechgeräten entkoppelt werden können. Gut, Mutti ist nicht eigentlich dabei – als Einzige betätigt sie sich sportlich an solchen Abenden und pendelt unentwegt zwischen Küche und Wohnzimmer, schwer bepackt mit Schnittchen und Bier für die Erwachsenen und entkoffeinierter, entzuckerter, überhaupt entidealisierter und vielleicht auch schon entbrauster Brause für die Zahnspangenträger. Die anderen tackern sich reglos und unverrückbar in die soeben abbezahlte Wohnlandschaft und harren der Dinge, die da kommen. Warum bloß?
(Fortsetzung folgt…)
M.O.
[unverhofft auf dem Dachboden gefundene Tagebücher wie dieses spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider]